










Spuren des Krieges heute
Spuren des Krieges heute
Neben der Tatsache, dass Neu-Ulms Stadtbild heute noch von der Formensprache der Nachkriegsarchitektur geprägt ist, finden sich im Detail noch sehr viel mehr Spuren des Krieges:
An einigen Gebäuden lässt sich noch durch Pfeile und so genannte Splitterschutztüren vor den Kellerfenstern ablesen, dass sich hier einmal ein Luftschutzkeller befand. An manchen Stellen finden sich noch Einschussspuren an Wänden, wie am Kriegsspital oder der Festungsmauer im Glacis. An der Poterne 8 in der Schützenstraße ist bis heute noch das aufgemalte Symbol des Roten Kreuzes und der Schriftzug „Rettungsstelle“ zu erkennen. An wenigen Orten ist sogar noch abzulesen, dass ein Gebäude, das hier einmal gestanden haben muss, nur in Teilen und notdürftig wieder aufgebaut worden war, wie in der Silcher- oder in der Augsburger Straße. Auch werden bei Bauarbeiten immer wieder Blindgänger und Bombenreste gefunden wie zuletzt 2018, als eine 500kg-Bombe am zukünftigen Südstadt-bogen dazu führte, dass 12.000 Menschen evakuiert werden mussten.
Neuaufbau der Stadt
Vor allem nach der Währungsreform im Jahre 1948, als wieder ein wirtschaftlich stabiles Finanzsystem etabliert war, konnte mit der Planung und Umsetzung der dauerhaften Wiederherstellung der Stadt begonnen werden. Vereinzelt hatten Eigentümer ihre Gebäude bereits wieder vollständig errichtet, doch das Stadtbild war weiter von Provisorien und geflickten, teilweise reparierten
Ruinen geprägt.
Schon im Sommer 1945 wurde der so genannte „Ellenriederplan“ aufgestellt, der dem Wiederaufbau der Stadt einen neuen Rahmen geben sollte. Teil der Planung war beispielsweise die Verlegung des Bahnhofs weiter in Richtung Süden sowie eine völlig neue Wegestruktur. Hierdurch wartete man zunächst mit Baugenehmigungen in der Kernstadt. Erst als dieser Plan, nach einigen
Diskussionen, wieder verworfen wurde, war es möglich, Neu-Ulm in den Bauformen der Vorkriegszeit neu aufzubauen.
Neben der Sparkasse auf der Insel war auch die gegenüberliegende Löwenbrauerei rasch wieder errichtet worden. Grund hierfür war vorrangig der große Saal für Veranstaltungen, Kino, Theater, aber auch Sitzungen der Verwaltung.
Das erste Kino eröffnete im Jahre 1949 in der Reuttier Straße beim Augsburger Tor. Das überlieferte Bild von der Eröffnung gibt noch zusätzliche Informationen: Auf den gemalten Bildern an der Fassade erkennt man links ein Bild des zerstörten Ulms (am alten Standort des Kino Central) zum Datum des großen Fliegerangriffs. Auf der rechten Seite erkennt man das wieder errichtete Kino, jetzt in Neu-Ulm, allerdings in der vollständigen, zu diesem Zeitpunkt nur geplanten Stockwerksanzahl. Das Gebäude existiert heute noch, allerdings längst ohne Kinobetrieb.
Auf einem Bild der Gänstorbrücke-Baustelle erkennt man eine Hütte mit der Aufschrift „Fortschritt Aufbau“. Hier fand also eine Ausstellung ihren Platz, die die Bürgerinnen und Bürger über den Fortgang der Aufbauarbeiten informierte und Bauprojekte vorstellte.
Leben und Alltag
„Niemand kann ermessen, wie das gewesen ist, als man dann wieder abends ins Bett gehen konnte ohne Angst vor Alarm. Man hatte sich tatsächlich danach gesehnt, daß es endlich aufhört. Nach fünf Jahren Krieg war man aufgebraucht.“
So schildert eine Zeitzeugin (Jahrgang 1909) noch im Jahr 1985 das Gefühl der „Stunde Null“.
Die Einwohnerzahl der Stadt war von den 14.000 vor dem Krieg auf knapp 4.000 geschrumpft. Die meisten Bürgerinnen und Bürger hatten in den letzten Kriegsmonaten die Stadt verlassen, um auf dem Land eine sichere Unterkunft zu haben. Viele befanden sich im Kriegseinsatz.
Die in der Stadt verbliebenen Menschen mussten auf Grund der großen Zerstörungen während des Jahres 1945 noch unter freiem Himmel campieren oder sich in den Ruinen Raum suchen. Lebensmittel, Kleidung, Brennmaterial und andere lebenswichtige Dinge waren stark rationiert, weswegen auch der Schwarzhandel blühte.
In einem Bericht der Militärregierung von November 1945 findet vor allem der Mangel an Lehrkräften, das Fehlen von Baumaterial zum Wiederaufbau, Kohle, Munition für die Polizei und Kleidung ihren Ausdruck. Ab dem 12. Oktober war (mit Gewichtsbegrenzung) auch wieder Paketverkehr, zumindest in der amerikanischen Zone, möglich. Die erste regelmäßige Tageszeitung erschien am 10. November 1945. Bis zum Frühjahr 1946 stieg die Einwohnerzahl der Neu-Ulmer Innenstadt wieder auf etwa 10.500 Personen. Schon 1947 fand das erste Volksfest mit einem Bierzelt statt – allerdings noch mit Dünnbier. Von einer „Normalität“ im Alltag konnte selbstredend noch lange nicht gesprochen werden, dennoch erholten sich manche Grundstrukturen des Alltags allmählich.
Aufräumarbeiten
Nachdem erste Gebäude wieder nutzbar gemacht werden konnten und auch die Straßen in weiten Teilen begeh- oder befahrbar waren, galt es Platz zu schaffen für neue Gebäude. Komplett zerstörte Bauten und Ruinen, die nicht wiederherstellbar waren, mussten abgebrochen und die Flächen vom Schutt befreit werden. Bei diesen Arbeiten wurde das Abbruchmaterial sortiert, gesiebt und anschließend mit den Trümmerbahnen abtransportiert.
Trümmer und Schutt wurden zum Schließen von Bombentrichtern oder als Untergrund für den Straßenbau verwendet. Aufgrund des Material- und Maschinenmangels waren die Abbrucharbeiten nicht immer so komfortabel, wie auf den Bildern zu sehen ist, sondern mussten rein händisch oder mit wenigen Hilfsmitteln erledigt werden.
Der hier im Fokus stehende Abbruch der Friedenkaserne war wichtig und möglich, da sich das Gelände in öffentlicher Hand befand und damit in der Innenstadt eine große, zusammenhängende Fläche verhältnismäßig rasch mit neuen Wohngebäuden bebaut werden konnte.
Gebaute Provisorien
Vor allem der Wiederaufbau, das Fehlen der Baumaterialien und auch der Verkauf der Bausteine aus den Überresten der zerstörten Kasernen sind Thema von Berichten, die sich ab Juni 1945 erhalten haben. Die ganze Stadt wurde zu einer Baustelle. Im Volksmund sprach man davon, dass vor allem „B-M-W“ neu bauen würde: Bäcker, Metzger, Wirte.
Bevor der endgültige Wiederaufbau von Gebäuden in den Fokus rückte, bauten viele Einzelhändler zunächst provisorische Verkaufsräume, auch vor ihren Grundstücken, auf.
An der nordwestlichen Ecke Augsburger- und Brückenstraße stand ein Verkaufsstand, dessen Geschichte gut dokumentiert ist: Es war wie bei konventionellen Bauanträgen zunächst ein Bauantrag bei der Stadt einzureichen. Daraufhin konnte man, ebenfalls an die Stadtverwaltung, einen Antrag auf Zuteilung des Baumaterials nach Abschätzung stellen. Scheinbar wurde hier damals positiv entschieden, so dass der Verkaufsraum 1946 in Betrieb genommen werden konnte. Er bestand bis ca. 1950, bis die Verkehrsplanungen den Abbruch zur Folge hatte.
Wichtige Versorgungsbauten wie Bahnhof oder Postamt wurden provisorisch errichtet, ehe sie in den späteren Jahren, insbesondere nach der Währungsreform 1948 und dem damit einhergehenden „Wirtschaftswunder“, vollständig in neuer Gestalt errichtet werden konnten.
Versorgung und Flüchtlinge
Die Nahrungsmittelsituation war in den letzten Wochen des Krieges, wie im restlichen Deutschland auch, sehr angespannt. In Ulm und Neu-Ulm befanden sich aber so genannte Proviantämter des Militärs. Im Ulm stand ein solches am Hauptbahnhof, in Neu-Ulm befand sich das Heereszeugamt im Starkfeld in Offenhausen. Die Bevölkerung begann in den letzten Wochen des Krieges diese Lager und die Güterwaggons zu plündern. Niemand hielt sie auf.
„Beim Heeresverpflegungsamt konnte man sich bedienen. Jeder hat noch so viel herausgeholt und da war wirklich alles da was man so gebraucht hat.“
August Welte
Zur gleichen Zeit begann die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten, wie beispielsweise dem Sudetenland, Schlesien, Ostpreußen und Jugoslawien. 12 Millionen Menschen wurden aus ihrer Heimat Richtung Deutschland vertrieben. Etwa 12.000 von ihnen kamen in den Altlandkreis Neu-Ulm. Man brachte sie zunächst im Grenzdurchgangslager in Offenhausen in den Gebäuden des alten Wehrmachtsgeländes im Starkfeld unter. Bezeichnenderweise ist das heute noch existierende Gebäude erneut zu einer Flüchtlings-unterkunft geworden. Danach verlegte man die Heimatvertriebenen zusammen mit den Displaced Persons (DPs) in das Übergangslager im ehemaligen Offizierskasino (bis 2019 Barfüßer Brauerei in der Augsburgerstraße).
Gleichzeitig beschlagnahmte man Häuser und Wohnungen, um für amerikanische Familien Platz zu schaffen. Bei der Ludendorff-Kaserne wurde von US-Truppen ein Gefangenenlager eingerichtet und
50.000 deutsche Landser erhielten hier ihren Entlassungsschein.
Die wichtigste Verbindung zwischen den Innenstädten Neu-Ulm und Ulm stellt bis heute der Weg über die Insel dar. Dieser führt von Ulm kommend erst über die Herd- dann über die Inselbrücke. Die Herd-brücke war ursprünglich ein gemauertes, dreibogiges Bauwerk, die Inselbrücke eine Stahlfachwerkkonstruktion. Über beide verlief bis 1945 die Straßenbahn. Die Brücken waren bei den Luftangriffen im März 1945 zwar beschädigt worden, aber noch nutzbar. Erst im April wurden sie dann durch die zurückweichenden deutschen Truppen gesprengt.
Herdbrücke
Um die Verbindung zwischen den Städten, zumindest für den Personen- und Warenverkehr, wieder herzustellen, richtete man schnell nach dem Krieg einen Fährbetrieb an Stelle der Herdbrücke ein. Der Zugang auf Neu-Ulmer Seite erfolgte über eine Holztreppe neben dem zerstörten Brückenansatz. Im Jahre 1947 wurde mit dem Bau der neuen, dann freitragenden Spannbetonbrücke nach Plänen von Willy Stör (1905 –1997) begonnen. Die Einweihung der Brücke,
wie auch die der Inselbrücke, fand am Schwörmontag 1949 statt.
Inselbrücke
Nach der Zerstörung konnte, wegen der geringen Spannweite des Übergangs, recht bald aus Dachbalken und weiterem Holz ein Behelfssteg für Fußgänger errichtet werden. Dieser bestand auch weiterhin während des Baus der neuen Brücke, da der Straßenverlauf begradigt und die neue Brücke weiter westlich ihren Platz fand. Die fensterlose Wand vom Haus „Insel 5“ und der davor errichtete kleinere Pavillon zeugen heute noch von dieser Straßenverlegung. Die neue Brücke wurde als Betonbrücke errichtet und mit wiederverwendeten Festungsmauersteinen verkleidet.
Ihr Schicksal teilt die Gänstorbrücke mit den anderen Donaubrücken der Doppelstadt: Durch die Luftangriffe der Alliierten wurde das 1912 eingeweihte Bauwerk zwar stark beschädigt, aber schlussendlich erst von der zurückweichenden Wehrmacht am 24. April gesprengt.
1945 /1946 errichteten amerikanische Pioniere eine provisorische Brücke, die auch für den Lastenverkehr nutzbar war, über die knapp 80 Meter breite Donau.
Um eine neue, dauerhafte Brücke zu bauen, richteten beide Städte gemeinsam 1949 einen Wettbewerb aus. Der daraus resultierende Siegerentwurf stammt vom Bauingenieur Ulrich Finsterwalder
(1897–1988). Der Bau der neuen Brücke geschah in zwei Bauphasen unter Verwendung der Widerlager des Vorgängerbaus. Zunächst wurden zwei von vier Fahrbahnen errichtet, so dass der Verkehr schon über das neue Bauwerk fahren konnte. Nach deren Fertigstellung verschob man das Schalungs- (oder auch Lehr-) Gerüst seitlich, so dass es sich auch für die zweite Brückenhälfte nutzen ließ.
Durch diese effiziente Bauweise konnte die Brücke bereits am
10. Dezember 1950 eingeweiht werden. Zur feierlichen Verkehrs- übergabe trieben drei als Gänsehirten verkleidete Bauarbeiter
eine Schar Gänse über die Brücke.
Infrastruktur
Bei den Angriffen im März wurde die innerstädtische Infrastruktur nahezu vernichtet. Die letzten großen Zerstörungen ihrer Verkehrswege ereilten die Stadt noch am 5. April bei einem gezielten Angriff mit Bordwaffen auf das Bahnhofsareal. Die Straßen waren schon seit März größtenteils durch die Schuttberge der Häuser blockiert, Strom- und Fernmeldeleitungen, Wasser- und Abwasserrohre ebenfalls. Energie- und Wasserversorgung waren damit nicht mehr möglich. Bahngleise wurden durch die Luftangriffe unbenutzbar und das so genannte „fahrende Material“ mitsamt den Lokschuppen und Bahnhofsgebäuden vernichtet.
Zunächst konnte durch das Abtransportieren von Teilen der Schuttberge ein erstes, nur fußläufig zu nutzendes Wegenetz durch die Innenstadt wieder hergestellt werden. Teils verliefen die Pfade auch über Ruinenberge oder durch zerstörte Gebäude. Allmählich konnten diese Wege auch wieder mit Fahrzeugen genutzt werden, jedoch stark reglementiert: Erlaubt waren Fahrten nur zwischen 5 Uhr morgens und 22.30 Uhr, außerdem hatten Fahrzeuge der Alliierten immer Vorfahrt. Um den Materialtransport zu sichern befreite man mit großer Priorität die Gleisanlagen von Schutt und aus vorhandenem Material schaffte man wieder ein zusammenhängendes Schienennetz.